Der Betrachter blickt in einen Kirchenraum, der noch unvollendet ist. Die mit Nischen und Fenstern gegliederten Längswände sind erst im Entstehen. In der Schmalseite sitzt ein Portal, durch das man ins Freie sieht. Eingebaut ist dort eine Empore und eine Holzkonstruktion, die man vielleicht als primitives Baugerüst bezeichnen kann. Von diesem Gerüst stürzt kopfüber ein Handwerker, Maurer, kenntlich an seiner Schürze, sein Hut fliegt ihm voran. Ein Balken des Gerüsts weist einen Knick auf, was auf einen Schaden hindeutet. Mit seiner rechten Hand hält er sich an einem Bruchstuck des Holzes fest – die weichen Kanten sind vielleicht dadurch zu erklären, dass Restauratoren das Motiv falsch aufgefasst haben. - Er fällt auf den Fußboden, auf dem ungeordnet Bretter und Balken liegen. Bei dem Bild handelt es sich keineswegs um ein sakrales Thema, sondern um ein konkretes Ereignis, einen Unfall im Zuge der Baumaßnahme. Im Vergleich zur Gegenwart bargen Baustellen immer ein hohes Gefahrenpotenzial. Die Vorrichtungen für die Handwerker waren sehr primitiv. Deshalb ist es regelmäßig zu Arbeitsunfällen gekommen, von denen aber in den schriftlichen Quellen kaum berichtet wird. Umso interessanter ist für uns heute dieses Gemälde.
Nassenfels im Schuttertal gehörte zu den ältesten Besitzungen des Eichstätter Bischofs. Es war bis zur Säkularisation Sitz eines fürstbischöflichen Pfleg- und Kastenamtes. Deshalb kam dem Kirchenbau seit jeher große Bedeutung zu. Die bestehende Kirche gilt als Werk des Baudirektors Gabriel de Gabrieli aus den Jahren 1737/38. Die Ausführung hat sein Landsmann Giovanni Domenico Barbieri geleitet. 1741 wurde die Kirche geweiht. Als großer Förderer hat sich Fürstbischof Johann Anton von Freyberg hervorgetan. Der Sakralraum wurde reich ausgestattet, und zwar mit Stuck des Eichstätters Franz Horneis und mit Fresken von Gabriel Seel.
Dieser Künstler ist leider historisch wenig greifbar. Er ist 1731-1742 in Nassenfels nachweisbar, 1744-1748 in Neuburg an der Donau. Seel, der die Nassenfelser Fresken schuf, wurde 1740 von der Heilingverwaltung mit 1 Gulden und 45 Kreuzer entlohnt. Es ist an sich schon ungewöhnlich, dass ein handwerklicher Maler aus dem Dorf, der stilistisch auf einem einfachen Niveau geblieben ist, mit einem solchen Auftrag betraut wird. Er dürfte sein ganzes Können in dieses Werk gesteckt haben. Für ihn ist nur noch ein Werk belegt: die Ausmalung der Pfarrkirche St. Gertrud in Dinkelshausen, Landkreis Neuburg-Schrobenhausen.
Emanuel Braun