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Der Evangelist Matthäus in einer mittelalterlichen Schreibstube (Mai 2019)

Von der ehemals großen Bedeutung der Wallfahrt künden noch nach vielen Jahrhunderten die bemerkenswerten Altäre in der Kirche St. Wolfgang bei Velburg. Auf dem linken Flügel des dortigen Hochaltarschreins finden wir auf der Innenseite eine exzellente Darstellung des Evangelisten Matthäus, in der wir einen Blick werfen können in eine spätmittelalterliche Schreib- und Malwerkstatt. Der Raum wird nach hinten gegen den Goldgrund begrenzt durch eine gemauerte Brüstung, die mit einer figürlichen Tapisserie behängt ist. Die Stube wird bestimmt durch zwei spätgotische Möbelstücke: Links ein Wandschrank, der im Unterbau polygonal gebildet ist; er nimmt auf eine Art Lavabo, also eine Vorrichtung zum Händewaschen, wie sie auch in Sakristeien üblich gewesen sind. Das Gerät dürfte aus Blech gefertigt sein. Seitlich am Schrank ist eine Stange befestigt, an der ein schmales Handtuch hängt. Das andere Möbel ist ein Schreibpult. Es verfügt über einen Baldachin und ein kleines Regal mit Utensilien; die schräge Schreibfläche ist mit einer weichen Unterlage versehen; an der Rückwand mit einer Schnur befestigt steht das aufgeschlagene Buch, das dem Schreiber als Vorlage dient; seitlich können wir kleine Näpfe mit verschiedenen Farbtinten sowie eine Schere erkennen; im Unterbau befindet sich eine weitere Ablage für Bücher. Der Schreiber ist ein Mönch, der in einem Lehnstuhl sitzt und eine rote Ordenstracht mit Umhang und Haube trägt. Wir können ihn beobachten, wie er konzentriert sein Schreibwerkzeug, den Kiel einer Gänsefeder, mit einem Messer anspitzt. Dass die Ikonographie des Bildes nicht einen heiligen Mönch meint, sondern den Evangelisten Matthäus, verraten uns der Bildzusammenhang der Altarflügel und der Engel, der sich so gelangweilt auf die Stuhllehne stützt und den Schreiber beobachtet. Die für ein Ordensgewand ungewöhnlich Farbe soll uns nicht irritieren; sie ist wohl als künstlerische Freiheit zu verstehen; denn auch die anderen Evangelisten sind klerikal gekleidet, meistens in Rot.

Unser Bild mit Matthäus ist das erste in der Reihe der Evangelistenbildnisse, und diese vier Tafeln sind vom Maler in einer chronologischen Abfolge der Tätigkeiten in einer Schreibwerkstatt angeordnet worden: Johannes ist beim Schreiben zu beobachten, Markus beim Nachfüllen von Tinte und Markus klappt nach der Arbeit das Schreibpult zu. Der Maler schildert uns in den vier Bildern immer anders gestaltete Schreibstuben. Dieser Flügelaltar ist nicht mehr in seiner originalen Form im spätgotischen, gewölbten Chor der Kirche aufgestellt. Er besaß ursprünglich fest stehende und bewegliche Flügel, so dass er zu den verschiedenen Zeiten des Kirchenjahrs „gewandelt werden konnte“. Im Schrein erscheint die Figur des Patrons, des hl. Wolfgang, umgeben von den hll. Willibald und Sebastian. Auf der ursprünglich nicht zugehörigen gemalten Predella sind die Apostel mit Christus dargestellt.

Der hl. Wolfgang, einer der Patrone des Bistums Regensburg, wurde im späten Mittelalter sehr verehrt. Die wichtigste Pilgerstätte war damals Sankt Wolfgang am Abersee (heute genannt Wolfgangsee), für die Michael Pacher einen seiner berühmten Schnitzaltäre fertigte. Man kann annehmen, dass Velburg an einem der Pilgerwege nach Oberösterreich lag. An wichtigen Etappenstationen errichtete man für die Pilger Wolfgangskirchen.

Die Erbauung der Kirche bei Velburg im Jahr 1467 fällt damit genau in die Blütezeit der Wallfahrt. Diese ist eine weithin sichtbare, spätgotische Saalkirche mit mächtigem Turm im Westen. 1757 wurde der Kirchenraum modernisiert: Das Langhaus erhielt eine Flachdecke mit Fresken von Johann Georg Hämmerl. Seltsamerweise behielt man die spätgotischen Altäre bei.

Der Altar und seine Malereien werden in die Zeit um 1490-1500 datiert, und die Werkstatt ist von Alfred Stange, dem Verfasser des Corpus-Werkes über gotische Malerei, in Regensburg lokalisiert worden. Die Gemälde sind stilgeschichtlich nicht nur bedeutsam, weil man den Versuch von räumlicher Darstellungsweise spüren kann, sondern sie sind auch als kulturhistorische Dokumente von unschätzbarem Wert, weil sie uns anschaulich machen können, wie wir uns die Arbeit in mittelalterlichen Schreibwerkstätten vorzustellen haben. Weil unsere Kenntnisse darüber fast nur auf schriftlichen Quellen beruhen, sind solche Bildquellen für die Geschichtsforschung so wichtig.

Emanuel Braun

Kirche St. Wolfgang bei Velburg

Die Kirche St. Wolfgang, heute eine Filialkirche der Pfarrei Velburg, wurde 1467 erbaut. Sie war als Wallfahrtskirche auch eine wichtige Station für Pilger in einer Zeit, in der die Verehrung des heiligen Wolfgangs sehr verbreitet war.

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